Emotionen in den internationalen Beziehungen
Koschut, Simon (Hrsg.) – 2020
Emotionen sind in der internationalen Politik allgegenwärtig, wie etwa das Mitgefühl mit dem Leid Anderer oder auch die Furcht vor Krieg und Armut. Dennoch galt lange Zeit der Verstand als höchste Errungenschaft des Menschen. Doch die jüngsten, bahnbrechenden Erkenntnisse der Neu- rowissenschaften stellen dieses Diktum in Frage: Emotionen und Rationa- lität, Gefühl und Verstand, stellen keinen Widerspruch dar, sondern be- dingen einander. Damit wird ein Credo der Aufklärung wie es etwa Des- cartes formuliert hat – nämlich, dass der Verstand über die Gefühle herr- schen sollte und nicht umgekehrt – zumindest relativiert. Vielmehr zeigt die neuere Forschung, dass rationale Entscheidungen ohne Emotionen häufig gar nicht möglich sind (Damasio 1994; LeDoux 1996). Emotionen verleihen unseren Präferenzen Intensität und Relevanz, motivieren uns zum Handeln und lassen uns auch die Konsequenzen unseres Handelns spüren. In manchen Fällen bedingen Emotionen sogar Rationalität: wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, dann kann das Ablehnen eines mate- riellen Vorteils durchaus rational sein (Mercer 2010). Emotionen sind auch ein moralischer Kompass, denn sie lassen uns spüren, welches Verhalten angemessen ist und welches nicht (Jeffery 2014). Wenn aber Emotionen ra- tionale und moralische Entscheidungen ermöglichen, und wenn interna- tionale Politik auf sozialer Interaktion rationaler und moralischer Akteure basiert, dann muss internationale Politik ebenso eine emotionale Dimensi- on beinhalten. Emotionen können natürlich politisch gefährlich und uner- wünscht sein. Hass ist schließlich auch eine Emotion. Aber so zu tun, als ob Gefühle nicht vorhanden seien, bedeutet eine grundlegende Dynamik der internationalen Politik zu übersehen.