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Vom "Tatort" zum Standort: SFB "Affective Societies" setzt sich für den Erhalt einer buddhistischen Pagode ein

Anthropolog*innen beobachten nur die von ihnen untersuchten Forschungsfelder? Von wegen! SFB-Wissenschaftler Max Müller hilft, die vietnamesisch-buddhistische Pagode in Berlin-Lichtenberg vor der Schließung zu retten, zusammen mit dem Drehteam der "Tatort"-Reihe.

News vom 30.05.2024

Die Frage, ob Sozialwissenschaftler*innen in die Belange ihrer Forschungsteilnehmenden eingreifen oder neutrale Beobachter bleiben sollen, wird seit Bestehen der Sozialanthropologie, Soziologie und Ethnologie diskutiert. Eine mögliche Maxime lautet: "Do no harm" –  richte keinen Schaden an.

Im SFB "Affective Societies" diskutieren wir auch dieses Dilemma. Unser Forschungsgegenstand bringt uns in die Nähe sozialer Strukturen und Prozesse, die Affekte und Emotionen auslösen und verstärken können. Wir analysieren diese Mechanismen in unserer Forschung und schaffen Räume, in denen die Anliegen der untersuchten Gruppen auch öffentlich thematisiert werden können.

Erst kürzlich hat der SFB dazu beigetragen, einen langjährigen Streit um den Erhalt einer buddhistischen Pagode zwischen der vietnamesischen Gemeinde in Berlin und den lokalen Behörden beizulegen. Der Anthropologe Max Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Teilprojekt D03, arbeitete dabei mit den "ungewöhnlichsten Verdächtigen" zusammen: dem "Tatort"-Drehteam.

Die Pagode in einem Gewerbegebiet in Berlin-Lichtenberg war jahrelang von der Schließung bedroht, da buddhistische Einrichtungen (anders als christliche oder jüdische) baurechtlich nicht als Gotteshäuser gelten und somit kein Religionsprivileg genießen. Auch das Lichtenberger Bauamt war der Meinung, dass eine Pagode in einem Gewerbegebiet nichts zu suchen habe und lehnte die Anträge auf Erhalt mehrfach ab.

 In den letzten vier Jahren konnte die Schließung der Pagode nur knapp und durch verschiedene mediale Aufrufe verhindert werden, unter anderem einen vom SFB mit organisierten taz-Talk. Ende 2023 schaffte es der Kampf ins Drehbuch der Tatort-Folge "Am Tag der wandernden Seelen", in der ein Großteil der Ermittlungen und Wendungen im vietnamesischen Lichtenberg und auch in der Pagode stattfindet. Max Müller war unter anderem als Fachberatung tätig und konnte sich gemeinsam mit verschiedenen vietdeutschen Expert*innen für eine klischeefreie Darstellung des vietnamesischen Lebens einsetzten. Im Film lenkt der Baustadtrat schließlich ein, und der Mönch und die Gemeindemitglieder können ihr Haus erfolgreich verteidigen. Um diese Idee Wirklichkeit werden zu lassen, hat der Forschungsverbund die Zusammenarbeit zwischen der vietnamesischen buddhistischen Gemeinde und dem "Tatort"-Team unterstützt und begleitet.

 Zum einen wurde die "Tatort"-Folge unter anderem durch die finanzielle Unterstützung des Sonderforschungsbereichs mit vietnamesischen Untertiteln versehen. Zum anderen diente die untertitelte Folge als Diskussionsgrundlage für einen Screening- und Diskussionsabend am 08. Mai. Politiker*innen sowie eingeladene Gäste und vietdeutsche Zuschauer*innen diskutierten dabei auch die für die Untersuchung von "Affective Societies" relevanten Fragen: Emotionen, Teilhabe und Affekt in der (post-)migrantischen Stadtgesellschaft. Auf dem Podium saßen Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Martin Schaefer (CDU) und Stadtrat Kevin Hönicke (SPD) sowie die Aktivistin und Wissenschaftlerin Thao Ho. Letztere teilte während der Diskussion mit dem Publikum ihre persönliche Beziehung zu der Pagode und warum eigenständig verwaltete migrantische Orte wie die Pagode unbedingt schützenwert sind. Schließlich konnte der ebenfalls eingeladene Bauingenieur und Unterstützer der Pagode Peter Oldenbossel die frohe Nachricht verkünden: Der eingereichte Bauantrag wurde einige Tage vor der Premiere des Tatorts endlich bewilligt.

"Der Krimi ist hier nur Mittel zum Zweck, um in die Gemeinde einzutauchen", behauptet Filmkritiker Matthias Dell in seiner wöchentlichen Tatort-Kolumne in der Zeit. Die Beteiligung des Forschungsverbundes an der Produktion dieser Folge hat dazu beigetragen, die Agenda dieser Gemeinde für eine breite Öffentlichkeit sichtbarer zu machen.

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Schlagwörter

  • "Tatort", "Affective Societies", SFB1171, buddhistische Pagode, Max Müller